Nahezu jeder der sich mit IG beschäftigt wird nicht drumherum gekommen sein, dass er ab und an wundervolle Bilder von Landschaften erblickt, die einem den Atem stocken lassen. Scharfe Grate in schweren Wolken gehüllt. Ganz klein & markant sehen wir auf einem Vorsprung eine Person, die mit wahlweise gelber oder roter Jacke ausgerüstet in die Weite schaut. Die Lichtstimmung ist im magischen Blau gehalten. Man selbst will unbedingt dort sein und das Pure der Natur miterleben & genießen.
IG = Instagram
Seitdem sich die German Roamers dafür verschrieben haben die wilde Natur in Deutschland zu mystifizieren, wie man es sonst nur aus den Märchenbüchern von den Gebrüdern Grimm kennt, ist es mit den Jahren, besonders auf IG, zu einer wahren Lawine von Nacheiferern gekommen, die mit auf den Erfolgszug aufspringen wollen. Doch welchen Preis hat das Ganze? Beim Roamern selbst geht es um das erkunden von Orten, die man vorher nicht kannte, selbst wenn sie in der unmittelbaren Nähe sind. IG ist dafür ein tolles Werkzeug, um solche tollen Orte zu finden. Was ich aber selber sehe sind keine begeisterten, jungen Menschen, die das Wandern neu für sich entdeckt haben. Im Gegenteil. Man nimmt gerne einige hundert Kilometer auf sich, nur um Fotos an der Burg Eltz oder am Eibsee zu machen. Die Enttäuschung ist dann umso größer, wenn das Licht oder generell die Stimmung nicht so sein sollte wie auf dem Bild, was man vorher auf IG gesehen hat. Es gibt auch Fälle, wo einige von den selbsternannten Roamers Grenzen überschreiten.
Genannt sei hier die Rakotzbrücke, die sich in der sächsischen Gemeinde Gablenz befindet. Seitdem die Brücke so bekannt geworden ist, ist sie zu einer Art Pilgerort geworden. Wenn man schon den weiten Weg auf sich nimmt, will man natürlich, sowohl als Amateur-, als auch Profifotograf, das beste Foto. Man begibt sich auf die Brücke (strengstens verboten), die durch ihr Alter sowieso schon stark in Mitleidenschaft gezogen ist und riskiert damit den Einsturz der Brücke und damit auch das eigene Leben. Normalerweise sollte man beim roamern bzw. erkunden von Orten zumindest soweit denken, dass man die Natur in ihrem ursprünglichen Zustand lässt. Die Unberührtheit wollen schließlich auch noch die Generationen danach erleben. Das tut man aber gewissermaßen soweit nicht, als das man mit dem Auto mal eben 400km zurück legt. Das Ganze für ein Foto, um dann auf Instagram möglichst viele Likes zu bekommen. Das mit solchen Aktionen die Umwelt belastet wird, ist den meisten gar nicht so bewusst bzw. wird in einfach in Kauf genommen. Letzten Endes ist aus meiner Sicht die Fahrerei zu den beliebten Spots nichts anderes als eine Kreuzfahrt mit dem Schiff. Auf Andere wirkt man privilegiert. Man hat das Geld und den Luxus der Zeit, um für ein Bild so weit reisen zu können. Generell sind Likes heutzutage die Kudos, Punkte für Anerkennung. Keine Likes, keine Anerkennung. Deswegen weinen extrem viele Fotografen herum, wenn sie keine Reichweite haben oder sich der Algorithmus von profilierten Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram verändert haben. Ich frage mich zu diesem Bezug tatsächlich, für was die Leute überhaupt fotografieren? Für andere? Für sich selbst? Für den Moment einer Erinnerung oder für eine Erinnerung, die nur für einen Moment auf den sozialen Medien auflebt und genauso schnell wieder verebbt. Nicht wenige gehen sogar soweit, dass sie sich Follower oder Likes kaufen. Und das dermaßen offensichtlich, dass sie entweder um die 50k-Follower haben und bei jedem hochgeladenen Bild irrationalerweise nur 200 Likes oder das genaue Gegenteil. Durch mehr Follower bekommt man mehr Reichweite. Man wird anderen Leuten vorgeschlagen. Die Follower-Like-Industrie verdient sich eine goldene Nase an dem Satifikations-Verhalten seiner Instagram-Sklaven. Man selbst verliert, wenn man nicht innovativ ist. Das war schon immer so & wird auch so bleiben.
Nun lässt sich darüber streiten, ob die Personen auf der Brücke tatsächlich dort waren oder mithilfe von Bearbeitungsprogrammen wie Photoshop, Gimp, etc. nachträglich eingearbeitet wurden. Die Illusion kann aber dahingehend gefährlich werden, insofern sie so fotogrealistisch aussieht, dass es dennoch Nachahmungstäter gibt, die das Ganze für bare Münze nehmen und auf die Brücke rauf gehen. Ohne das Bewusstsein für Konsequenzen, die nach sich ziehen könnten. Aber wie bei allem, gibt es bei derart neuen Phänomenen die Negativseiten.
Wenn man sich umhört, fehlt es den Menschen heutzutage an Authentizität. Gerade in der Politik bemängeln sie den gewissen Grad an Ehrlichkeit & den Realitätsbezug. Doch leben wir wirklich so anders? Machen wir uns nicht Selbst, Freunden & Familie etwas vor? Wir berichten von Erlebnisreisen, an denen wir nichts erlebt haben, sondern mit dem Auto über kilometerweiten Strecken dem einen like-bringendem Bild hinterher gejagt sind. Bauen wir uns ein Gerüst aus scheinbarer Realität auf, nur um Anderen zu zeigen wie toll unser Leben im Gegensatz dazu ist? Ist man nicht glücklicher mit Sachen, die einem selber glücklich machen? Und nicht mit solchen, die einem die Zeit der Selbsterkenntnis- und verwirklichung stehlen, nur um ein digitales Refugium zu bauen, was mithilfe von Geld & Zeit aufrecht erhalten wird? Es sollte jeder in sich kehren und wirklich überlegen, ob er die wertvolle Zeit investieren will, nur um bei jemand Unbekannten, der/die in 0,5 Sekunden darüber entscheidet, ob ein Like vergeben wird oder nicht. Denn die Unbekannten haben sich satt gesehen an Rakotzbrücke, der Burg Eltz oder vom Eibsee. Sein oder nicht sein? Shakespeare ist auch im 21. Jhd. so aktuell wie nie.
Wenn man unter dem Hashtag (#) Rakotzbrücke sucht, wird man mit knapp 11.000 Ergebnissen (Stand: 27.02.18) von der Bilderflut geradezu erdrückt. In wirklich allen Jahreszeiten wird die Brücke fotografiert und ist einer der bekanntesten Spots in ganz Deutschland. Ich selbst war noch nie da und habe es, zumindest vorerst, auch nicht vor. Es sei denn, eine ausgedehnte Radtour führt dort entlang.
Ich will niemanden vor dem Kopf stoßen oder gar vorschreiben, wie er zu leben hat. Mein einziges Anliegen: Es sollte mehr darauf geachtet werden, wie man seine Vorhaben/ Verhalten gegenüber der Natur in Einklang bringen kann. Es gibt im eigenen Umfeld genauso viel Natur wie in den Alpen. Das Grundkonzept der German Roamers finde ich toll. Es werden Seiten gezeigt, die man so noch nicht kannte. Das ganze sollte nur nicht so kommerzialisiert werden. Aber Erfolg ist nun mal mit Kommerz verbunden, so traurig es auch ist. Als Wanderer, der nicht gerade mit der neuen, Benzin schluckenden G-Klasse zum Bergsee fährt um dort ein Lagerfeuer zu machen und aus seiner "Adventure"-Blechtasse zu schlürfen, nur um in der Nacht sein MSR aufzustellen, und die Milchstrasse zu fotografieren, um dann anschließend ins gesponserte 5-Sterne-Berghotel zu fahren. Oder aber mit dem Helikopter in Patagonien herumzufliegen. Die Roamers haben sich augenscheinlich genauso weit von dem Wandervolk entfernt, wie die Politiker nach Meinung einiger AFD-Wähler. Der Erfolg sei ihnen gegönnt (den Roamers, nicht der AFD). Es hat aber nichts mehr mit dem Grundgedanken zu, der damals zu verfolgen versucht wurde. Der Generation Internet die Natur näher zu bringen. Heute gilt leider: Weiter, Höher, Besser.
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