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Etappe 2: Sant Elm - Estellencs

Gegen 07:00 Uhr wache ich auf. Insgesamt fühle ich mich sehr fit, nachdem ich meine erste Nacht im Biwaksack übernachtet habe. Dennoch fällt auf, dass der Biwacksack von innen extrem klamm ist. Der Grund dafür ist wohl die Kondensation von meinem Körper. Ich habe wenigstens gehofft, dass das beim The North Face etwas weniger ist als beim Ortovox, aber leider ist das nicht der Fall. Letztlich sollte man aber auch bedenken, dass es immer noch ein Biwaksack ist, der wirklich nur für Notfälle dient und nicht als alternatives Zelt. Ich stehe auf. Es fängt gerade an zu dämmern und ich benötige meine Kopflampe nicht mehr. Der Morgen ist noch relativ ruhig und der Wind ist fast weg. Wäre ich jetzt mit meiner Freundin unterwegs, gäbe es sicherlich selber zusammengestelltes Müsli. Aber erstens habe ich nur noch ein halbes Baguette bei und zweitens fehlt mir der Hunger. Ich bin auch nie der Frühstücksmensch und wenn dann nur bei Freunden & Familie. 


Ich rolle die Isomatte auf, lüfte nebenbei den Daunenschlafsack, der klamm ist und packe mit der Zeit alles wieder in den Rucksack ein. Zum ersten Mal erblicke ich das Meer aus der Höhe von ungefähr 270 Metern zu meiner Linken. Ein schönes Gefühl und irgendwie auch heimisch. Ich gehe weiter und das vorerst bergab in Richtung Sant Elm. Immer wieder halte ich bei tollen Ausblickmöglichkeiten an und genieße die Aussicht auf die Insel Sa Dragonera. Der Weg führt an Strommasten, halbhohem Gras & Büschen an jeder Seite vorbei. Das Inselflair ist unverkennbar da. Nach ungefähr 1 1/2h komme ich in Sant Elm an. Das wollte eigentlich noch in der Nacht erobert werden, aber egal. Ich bin sozusagen im Urlaub, wenngleich auch etwas sportlich. Der GR 221 führt jetzt wunderschön am Küstenstreifen der Stadt entlang, an der Promenade. Hier lässt es sich wirklich gut aushalten. Zwischen den Häusern verläuft immer wieder ein Weg hinunter zum Meer. Desweiteren sieht man immer wieder eine kleine Fläche zwischen den Häusern, wo ein Baum und eine Bank steht. Natürlich alles mit Meeresblick. Was zu verspüren ist und das ist es in den Wintermonaten anscheinend immer, diese Verlassenheit in den Dörfern und kleinen Städtchen hier oben im Norden von Mallorca. Die Geschäfte haben fast alle geschlossen. Es gibt Ausnahmen, die an einer Hand abzählbar sind. Zum Beispiel eine Art Tante Emma Laden, wo es das Nötigste an Nahrung und Getränken gibt. Diese Läden sind aber dermaßen schwer zu finden, wenn man zumindest den offiziellen Wanderweg entlang geht, dass man, wie ich in Sant Elm, auch mal mit leeren Händen da steht. Ich mache mein Smartphone an und suche nach "Markt in der Nähe". Google zeigt mir auch welche an, aber diese sind alle geschlossen. Zu meinem Pech auch alle Restaurants. 

Wirklich ärgern tut es mich nicht. Schon vor meiner Reise habe ich mich darauf eingestellt, dass die allermeisten Geschäfte zu haben werden. Aber natürlich benötige ich auch Wasser und ich habe gefühlt noch etwas mehr als einen Liter im Gepäck. Ich wandere weiter durch die Stadt und folge dem Pfad an der Küste entlang, bis es nicht mehr ausgeschildert ist. Meiner Intuition folgend, gehe ich irgendwann rechts hoch an einer Hauptzweigung in Erwartung, das sei der richtige Weg. Meine schwammige Erinnerung weist mir den Weg. Ich gehe die Straße hinauf, die sehr schnell in einen Feldweg hinein mündet. Ich biege leicht nach links ab. Ein Haus bzw. eine Villa rechts von mir. Ein Hundebellen ist zu vernehmen, was immer lauter wird. Anfangs noch hinter einem Zaun, sehe ich wie der Hund rechts neben mir her läuft, durch das große Tor hinaus auf den Weg und direkt hinter mir her. Er geht mir von der Größe bis zur Hüfte und sieht nicht wirklich gastfreundlich aus. Der Hund läuft immer wieder impulsiv zu mir auf einige Zentimeter heran und bellt lauthals. Ich fühle mich, obwohl ich ein Hundefreund durch & durch bin, wirklich leicht verunsichert. Unbehagen steigt in mir auf. Ich versuche ihn weitesgehend zu ignorieren und halte meine aufkommenden Angst zurück. Jedes mal, wenn er impulsiv zu mir heran stößt denke ich, dass er mir jeden Moment in die Wade beißt. Die Besitzerin hat das auch schon aus 100 Meter Entfernung mitbekommen, ruft zwar den Hund, aber Diese bewegt sich auch kein Stück, um ihn zu holen. Ich denke mir nur, dass der Racker eine super Erziehung genießt. Ich gehe einfach noch 50m weiter, bis ich einfach stehen bleibe, den Hund relativ gelassen angucke, mich nicht mehr großartig bewege und er dann letztlich und zum Glück von mir ablässt. Ich habe echt selten die Erfahrung mit solch agressiven Hüterhunden gemacht, aber damit kann man auf der Insel auch mal rechnen, wenn der Besitzer sich nicht wirklich zuckt. Im Endeffekt tut der Hund sogar das Richtige, denn ich bin auf dem falschen Weg. Etwas zu früh abgebogen, befinde ich mich auf einem Privatgrundstück. Doch was nun? Ich versuche durch die Büschel & das hohe Gras irgendwo wieder hinunter zu finden, aber es gelingt mir nicht. Das Gelände ist sperrig und umzäunt. Ein toller Start, denke ich mir. Ich habe keine Alternative, außer umzukehren und an der Villa vorbei zu gehen und das so still wie nur irgendmöglich. Meine Augen suchen die ganze Zeit das Grundstück nach dem Hund ab, aber er ist nicht mehr zu sehen. Die Besitzerin ist wohl mit ihm ins Haus gegangen. Mein Schritttempo erhöht sich und ich gehe wieder die Anhöhe bis zur Kreuzung hinunter. Ich wandere noch weiter bis zur Küste, denn hier sehe ich die markanten Punkte, die mir auf der Wanderkarte weiterhelfen (können). Die Karte ist im Maßstab 1:25.000. Das heißt, dass jeder Zentimeter auf der Karte exakt 250 Metern im Gelände entspricht. Da die Küste nicht einfach nur wie eine Linie am Meer entlang läuft, sondern immer mal wieder etwas ins Meer hinein ragt, ergeben sich auf der Karte einige Spitzen, die sich sehr gut deuten lassen. Ich bin vorhin eindeutig zu früh hinauf gegangen und gehe nun noch ein paar hundert Meter weiter an der Küste entlang, bis ich zu einem Kreisel (Kreisverkehr) komme. Auf der Karte ist er zumindest so ausgewiesen. Letztlich ist es nur wieder eine große Wendefläche, aber auf dem Straßenschild stand etwas von Trapa. Ich bin wieder auf dem richtigen Weg. 


Sant Elm (kastilisch San Telmo) ist ein kleiner Ort mit einem 180 Meter langen Sandstrand auf der Baleareninsel Mallorca. Der Ort besteht vor allem aus kleineren Hotels und Sommerresidenzen, Dauerbewohner bzw. Einheimische findet man nur wenig.

 

Sant Elm liegt am westlichsten Landpunkt Mallorcas. Man erreicht den Ort von Andratx aus über das Dorf S’Arracó auf gewundener Straße durch die Berge.

 

Vor dem Strand von Sant Elm befindet sich die kleine Insel Es Pantaleu, etwas weiter vorgelagert erstreckt sich die Insel Sa Dragonera, die zu einem Symbol des Kampfes um die Erhaltung der Natur auf den Balearen wurde. Umweltschützer zogen bis vor das oberste spanische Landgericht, um den Bau einer Feriensiedlung auf der Insel zu verhindern. Das Gericht nahm schließlich deren These an und Sa Dragonera wurde vom Consell Insular de Mallorca, dem Inselrat, erworben. Heute ist die Insel ein Naturschutzpark, in dem noch sargantanes (endemische Echsen), falcons marins (Eleonorenfalken) und gavines de bec roig(Korallenmöwen) leben.

 

Sehenswürdigkeiten:

Wanderung zum Torre de Sant Elm, Cala Embasset, Kloster La Trapa

 

Quelle: Wikipedia

Es geht weiter in Richtung La Trapa. Ein wirklich wundervoller Weg, der insgesamt eine tolle Aussicht bietet und nicht allzu anspruchsvoll ist, da er auf einer Höhe verläuft. Man hat zwar einige Kilometer nach Sant Elm und um die 300 Höhenmeter zu überwinden, aber im Gegensatz zu den anderen Etappen ist das Ganze eher angenehm. Ist man dann auf der Höhe, läuft man den Weg entlang und genießt einfach alles um sich herum. Links von mir das Meer. Es ist vom Wind aufgewühlt und die Wellen preschen gegen die Brandung. Man kann es bis hierhin hören. Rechts von einem läuft eine Bergkette entlang. Man selbst befindet sich auf einem grobsteinigen Weg, der für die Trockenmauerroute typisch ist. Dennoch frage ich mich, wie ich es damals mit den Five Fingers und 21Kg auf dem Rücken ausgehalten habe. Gegen Mittag komme ich an La Trapa vorbei. La Trapa bezeichnet die Ruine eines abgelegenen Trappistenklosters. Das ehemalige Klostergelände befindet sich im abgelegenen Tal Val de Sant Joseph. Der Ort reizt mich nicht allzusehr und ich passiere ihn und lege weiter an Höhenmeter zurück, bis ich gegen halb Zwei einen Ort passiere, den ich noch allzugut im Gedächtnis und auf den letzten Fotos habe. Hier haben Sarah & Ich unsere zweite Nacht verbracht, weil unsere Füße den Tag einfach nicht mehr weiter wollten. Wir schlugen damals unser Lagegegen 16:00 Uhr auf. Ich selber habe noch sieben Stunden Wanderung vor mir, die es im nachhinein in sich haben werden. Es ist schon kurz nach Mittag und Hunger oder zumindesten Appetit will einfach nicht aufkommen. Es ist für meine Verhältnisse echt komisch, aber sobald draußen unterwegs, hat mein Körper irgendwie einen anderen Zustand eingenommen. Angesparte Energie scheint verbrannt zu werden. "Na ein Glück auch", dachte ich mir. Ich erreiche den Puig de ses Basses, der laut Karte 493m hoch ist. Es wird nicht der höchste Berg für den Tag sein. 

Auf dem Foto links seht ihr meine tagtägliche Kleidung, die ich an habe. Völlig optimal zum wandern, wie ich finde. Damit der Schweiß beim bergauf gehen einem nicht in die Augen perlt, habe ich ein Stirntuch um, nachher auf ein Rundhalstuch aus Merinowolle. Der Effekt ist super, denn es hält den Schweiß fern, kühlt den Kopf und mit Merinowolle hält es selbst im feuchten Zustand noch gut warm, wenn man dann den Berg wieder hinab steigt. 

 

Für den Oberkörper habe ich an sich nur einen Pullover aus Merinowolle mit der Stärke 200 an. Er ist durch das Materal super angenehm zu tragen und auch hautvertäglich. Irgendwann fängt auch er an zu fusseln, aber das bleibt wohl bei keinem Pullover aus. Was ich zum Beispiel bei dem Merinopullover oder auch bei der Fleecejacke super finde ist, dass man sieht wie es funktioniert. Ist man dann erstmal am kondensieren, und guckt man auf seine Schultern oder auf den Rücken, sieht man die einzelnen Wasserperlen. Die Feuchtigkeit wird also super nach außen geleitet und durch die thermische Strahlungsenergie der Sonne oder durch den Wind abgetragen. Merino trocknet als dazu noch super schnell und stinkt halt nicht. Der Pullover oder die Merinofunktionswäsch riecht halt eventuell nach 3-4 Tagen in der Tat nach Merino, aber nicht ekelhaft nach Schweiß, wie es bei Sportsachen aus Kunstfaser der Fall wäre. An den Beinen habe ich eine Unterhose aus Merinowolle, die auch eine Dichte von 200g/m² aufweist. Also für aktive Bewegung wunderbar. Die Frauen wissen es sicherlich am besten, die Leggins tragen, wie dünn und dennoch wärmeisolierend sie sind. Da ich sonst keine weitere Unterwäsche wie Boxershorts drunter trage, habe ich noch eine superleichte & kurze Sporthose drüber gezogen. Es empfiehlt sich bei einer Wanderung im Gebirge generell keine allzu enge Hose anzuziehen, da die Bewegungsfreiheit beim bergauf- oder absteigen extrem eingeschränkt ist. Es empfieht sich Material, was sich dem Körper bzw. den Bewegungen anpasst. Warum ich keine Boxershorts drunter trage? Diese würde sich durch die Bewegung nur an den Oberschenkeln aufrollen und den Bewegungsablauf unkomfortabler machen und empfindlich stören. Es interessiert da draußen auch einfach niemanden. Falls es durch den Wind dann doch mal kälter wurde, habe ich mir die Fleecejacke an- bzw. drübergezogen. Durch das Netz vom Rucksack, der hinten am Rücken anliegt, wurde die Feuchtigkeit perfekt abtranspotiert. Wenn man dann in Ruhe war und oben auf einem Gipfel stand und der Wind quer hindurch ist, kühlte man durch den Schweiß schnell aus und man zog sich schnell eine Jacke drüber. 

Ich passiere also den Puig de ses Basses und gehe den gleichnamigen Pfad, bis ich zu einer ersten, einschneidigen Abzweigung komme. Dies wäre die alternative Route Richtung s'Arracó und nennt sich GR-221-A. Das steht so auf der Karte, aber nicht auf dem Schild. Wenn man eine große Runde laufen will, kann man den Weg einschlagen, welcher letztlich zu s'Arracó führt und bei dem Funkmast endet, bei dem ich mich verlaufen hatte. Ich schlage also den anderen Weg Richtung Osten ein. Hier sind auf der Karte ein paar Wasserquellen abgebildet. Alle sind versiegt. Bei einigen suche ich ganz genau, weil es echt knapp um meinen Wasservorrat steht und ich immer noch das Chlor-Wasser vom Flughafen trinke. Wenig später komme ich an einer 20-Mann-und-Frau starken, britischen Truppe vorbei. Allesamt typisch mit Dschungelhut, weißer Halbhose und kariertem Hemden bekleidet. Es ist auch nicht weiter schlimm, denn für ein paar Stunden Wanderung durch wegsames Gelände ist es egal, was man anhat. Ich versuche die Gruppe so schnell wie möglich hinter mich zu lassen, denn ich bin immer noch für die Ruhe und Einsamkeit hier. Wenn ich dann die Truppe nach knapp 500 Metern hinter mir immer noch höre, dann heißt es: Nix wie weg hier! 

Man kommt der MA-10 (Sozusagen Bundesstrasse) immer näher und endet an einem großen Parkplatz mit vielen Tischbänken. Hier merkt man, dass man an einem Ausflugort gelandet ist, der bequem mit dem Auto zu erreichen ist. Viele machen die Wanderung zum Puig de ses Basses und wandern wieder zurück. Ich gestehe auch ehrlich ein, dass sich selbst das lohnt. Die Aussicht da oben ist einfach wunderbar, der Weg doch recht abwechslungsreich und die Vegetation ist einfach nur schön. Ich lege hier eine kurze Pause ein. Davon mache ich auf der gesamten Strecke des GR 221 recht wenig, wie ich später feststellen werde. Es ist jetzt schon 15:00 Uhr und ich habe noch 3 1/2 Stunden bis es Dunkel wird. Zu dem Zeitpunkt habe ich keine Ahnung wie weit ich gelaufen bin, aber weiß, dass es schon weiter ist als die letzte Etappe mit Sarah. Ich sollte bis Ende des Tages für die Strecke, für die wir damals 3 Tage gebraucht haben, nur 2 Tage brauchen.


Normalerweise könnte man jetzt die MA-10 vom Parkplatz aus nach links nehmen. Wie so oft am Anfang des GR 221 ist es wieder nicht ausgeschildert. Dabei wurde die Beschilderung von der Kreuzung, ob man nach s'Arracó oder nach Estellencs laufen will, richtig gut. Hier habe ich auch den ersten Pfeiler an sich wahrgenommen, der extra für diesen Weg gemacht worden ist. Er hat einen Pfeil mit einem schwarzen Kreis herum und darunter zwei Striche mit jeweils weißer & roter Linie.

Dieses Mal gehe ich aber nicht die Straße entlang, sondern folge der Karte. Kurz vor dem Parkplatz geht es links, an einem kleinen Wasserwerk vorbei, hinunter. Der Weg schlängelt sich ins Tal, wo auch eine (versiegte) Quelle sein soll. Ich bin ganz froh, dass die Sonne nicht scheint, weil ich sonst noch schneller dehydrieren würde. Der Weg mündet in eine asphaltierte Strasse, die hinauf zur Hauptstrasse führt. Ich folge ihr Richtung Nord-Osten bis zu einer gewissen Auffahrt, die sich rechts von der Straße befindet. Der Weg folgt laut Karte offiziell hier entlang. Es wurde aber schon ein Schild angebracht, dass man noch ein paar hundert Meter weiter gehen soll, um dann an einem bestimmten Kilometerpunkt (habe ich leider vergessen) nach rechts abbiegen soll. Das tue ich und gehe bis zu dem gewissen Punkt, wo auch der GR 221 wieder (privat) ausgeschildert ist. Ein paar Schritte weiter nach unten findet man auch ein Refugi, dass auch nicht auf der Wanderkarte verzeichnet ist. Es scheint also relativ neu zu sein. Hier bekomme ich endlich! frisches Trinkwasser und kann mir sogar Orangen mitnehmen. Wer hier entlang kommt, kann sich noch mit anderen Sachen verpflegen lassen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber der/die Besitzer reden auch deutsch. Es stehen immer Wasserflaschen auf einer Terasse. Daneben befindet sich eine Art Spendenschüssel, wo man für eine große Wasserflaschen 1€ zu spenden hat. Ich habe im wahrsten Sinne noch etwas Trinkgeld hinein getan, denn ich war dankbar, wieder sauberes Trinkwasser genießen zu können. Nun geht es von hier nur noch bergauf und das doch sehr stramm. Man sollte also die Chance nutzen, sein Wasserreservoir aufzufüllen. Ich gehe hinauf bis zu einer gewissen Lichtung, wo wieder Steinmännchen aufgebaut sind. Ich folge dem Falschen und gehe einen Pfad entlang, der zwar für meine Augen ersichtlich ist, aber einfach nicht richtig zu sein scheint. Das merke ich, als ich über umgefallene Bäume kletter und der Weg zwar nach oben, aber nicht weiter führt. Nach oben geht es natürlich immer schnell, aber bergab ist das Ganze echt ein Graus geworden. Der gesamte Abhang besteht aus lockerem Schutt und ich rutsche immer wieder ungewollt bergab. Zwar nur um einige Zentimeter, aber wenn man einmal anfängt zu rutschen, kann das ganz schnell nach hinten losgehen. Zudem sind auch noch unzählige Dornenbüsche, in die man auf keinen Fall reinfassen bzw- fallen will. Ich verstehe auch absolut nicht, wie mir das da passieren konnte, da wir das letzte Mal auf anhieb auf den richtigen Weg waren. Sogar den oberen Punkt kannte ich noch, wo man vorbeiklettert ist und wollte auch auf dem Weg, auf dem ich war, dorthin gelangen. Nun gehe ich wieder zurück zur Abzweigung und gucke noch mal ganz genau hin. Und siehe da! Da ist der richtige Weg. Meine Unkonzentriertheit wird immer größer und ich mache mir doch langsam Sorgen um mein geistiges Befinden. Auch wenn ich mich fit fühle, so macht mein Geist langsam schlapp. Ob es an zu wenig Essen oder zu wenig Wasser liegt, kann ich nicht sagen. Ich habe knapp 45 Minuten verschwendet und es ist 16:30 Uhr. Ich habe noch gut zwei Stunden bis es dunkel wird. Ich gehe jetzt recht zügig den Hang hoch, der sich wie Serpentinen entlang durchs Gebirge schlängelt. Ab und an ist der Wind richtig stürmisch. Gerade auf dem Bergrücken ist es so zugig, dass ich rasch weiter gehe. Und auf einmal sehe sie vor mir. Die Hochebene. Ich war immer der Meinung, dass sie erst später kommt. Ich schlussfolgere sofort, dass mir das Schwerste noch bevorsteht. Ich habe den Gipfel des Mola dÈsclop (928m) zu erklimmen. Ich sehe aber gerade beim schreiben, dass ich das gar nicht hätte machen brauchen und auch letztes Jahr mit Sarah schon nicht. Na egal, so hatten wir bzw. ich das Abenteuer schlechthin.

Der Tag neigte sich langsam dem Ende. Die Sonne verschwindet langsam am Horizont. Eine kreisrunde Scheibe vom Meer verschlungen. Da erscheint das Wetter noch am Besten. Ein paar größere Wolkendecken, aber insgesamt doch freundlich. Wenn ich dann aber zu der anderen Seite schaue, wo ich dann auch entlang gehe, sieht das Ganze schon verdammt anders aus. Kein sonniges Orange mit Rottönen, sondern tiefem Blau, als sei die Sonne schon längst entwichen. Was noch viel schlimmer ist, dass der Berg wolkenverhangen ist. Ich ahne schon, dass es schwer für mich werden wird und es kommen Zweifel, ob der Berg bei Nacht, Dunkelheit & Nebel überhaupt zu bewältigen ist. Ich hole mein Smartphone heraus und telefoniere noch mal mit Sarah, bevor ich mich auf den Weg ins Ungewisse mache. Ich erzähle ihr von meinem Tag und dem Vorhaben, nur noch bis zur Wolkengrenze zu gehen und nicht weiter, weil ich auch nichts mehr sehen würde. Es ist einfach sicherer einen Schlafplatz zu suchen und dann dort auszuharren bis zum Tagesanbruch. Ich bin aber eher der Typ der sein eigenes Wort bricht und so gehe ich in die Nacht hinein. Die Gedanken sind sogut wie ausgestellt und der Selbsterhaltungstrieb schaltet sich irgendwie ein. Es wird immer dunkler und das letzte Licht erlischt bald. Auf dem Weg erkenne ich 5 Meter vor mir nicht mal das Wildrind, was da vor sich hin vegetiert mit seinen Hörnern. Ich bin leicht erschrocken und halte kurz inne und bin verwundert wie schnell blind man bei diffusen Licht wird.

Ich folge den Steinmännern den Berg hinauf ohne zu sehen, wo ich mich befinde. Ich erinnere mich nur noch an die letzte Passage mit einem großen, umgestürzten Baum. Damals hatten Sarah und ich dort gerastet. Da wäre auch die Möglichkeit gewesen zu rasten, aber ich will innerlich nicht. Ich kann noch immer laufen und bin nicht müde. Warum also aufhören? Der einzige Grund wäre die Vernunft. Ich verstehe nun, was Bergsteiger oder -wanderer meinen, wenn sie von kalkulierbaren Risiko sprechen. Das Risiko bestand darin, dass ich mich allerhöchstens verlaufe, weil die Sicht bei Nebel glatt unter 10 Meter war, teils noch weniger. Ich kannte den Berg und wusste, dass der Aufstieg keineswegs so schwer für Anfänger war, dass es lebensgefährlich werden würde. Dessen bin ich mir bewusst und schreite voran. Schon am Anfang komme ich so in Schwierigkeiten, dass ich das zweite Mal auf meiner Tour im Kreis gelaufen bin.

 

 

Ich erinnere mich an ein Experiment mit einem Freund. Wir wandern vor einigen Jahren zur Elbe. Er meint zu mir auf einer großen Wiese, ich solle die Augen schließen und dann einfach versuchen geradeaus zu laufen. Das tat ich für ungefähr 50 Meter. Dann rief er: "Stopp!!" (zum Glück, denn ich blinzelte schon vorher und sah den Graben vor mir) und ich mache die Augen auf. Ich bin einen riesen Bogen gelaufen im Glauben, ich sei ebend geradeaus gelaufen. Ohne Orientierung läuft man also letztendlich irgendwann einen Kreis. 

Ich überlege an einer an sich optimalen Stelle zu übernachten, aber ich will es wissen. Einige von euch schütteln jetzt wahrscheinlich den Kopf. Wie kann ein Typ, der es schafft sich zu verlaufen und im Kreis zu gehen, einen Berg bei Dunkelheit & Nebel in Angriff nehmen? Durch meine Stirnlampe sehe ich knappe zwei Meter. Ich nehme sie ab und in die Hand, so dass ich sie knapp einen Meter über den Boden halte. Hier reflektieren die feinen Wasserpartikel nicht direkt vor meinen Augen und ich sehe schon 8-10 Meter mehr. Hier oben sind die Steinmännchen wirklich extrem eng frequentiert gesetzt, so dass ich, nachdem ich eines passiert habe, schon das Nächste wahrnehme. Manchmal dauert es einige, wenige Sekunden, bis ich den Nächsten sehen kann. Die Sekunden kommen mir wie Minuten vor und verschlimmern teils das komische Gefühl im Bauch. Ich schwenke das Licht immer im Winkel von 135° von links nach rechts, von rechts nach links. Das Ganze geht knapp zwei Stunden. Mit mehr Glück als Verstand (oder doch Intuition?!) erreiche ich den Fuß des Gipfels vom Mola de s'Esclop. Hier gibt es durchaus ein Flachplateau und auch eine Stelle, wo man mehrere Zelte aufbauen könnte. Die Luft ist aber dermaßen feucht (Nebel/ Wolken), dass ich hier nicht ungeschützt schlafen will/kann. Ich beschließe noch weiter zu gehen. Das Adrenalin hält mich wach und das Dopamin wahrscheinlich ebenso. Der Wind nimmt an Stärke auf und es wird steiler. Einige Passagen am Berg erfordern jetzt nicht nur Füße, sondern auch meine Hände. Der Wind drückt mich von hinten nach vorn bzw. nach oben. Es so kalt, dass ich nicht nur den Merinopullover anhabe, sondern auch die Fleecejacke und den Windbreaker drüber. Auch die Handschuhe habe ich schon an. Am Anfang der Reise hatte ich mich erst drüber geärgert, dass ich die überhaupt mitgenommen habe. Genauso wie die Kunstfaserdaunenjacke von The North Face. Ich habe alles richtig gemacht. Das wird mir zu jenem Zeitpunkt klar und schließlich ist es ja auch Winter, wenn auch milder als ins Deutschland. Frisch ist es allemal. 

Gegen 20:30 Uhr erreiche ich den Gipfel und ich genieße es. Niemals pflege ich den Gedanken, auf den Weg nach oben, dass ich es wirklich bis hierher schaffen würde. Es ist stürmisch, aber die Aussicht fantastisch! Die Sicht ist klar und der Sternenhimmel strahlt mit voller Kraft. So schnell kann es sich in den Bergen ändern. Von einem Extrem ins Andere. Das, was ich in der Ferne hell leuchtend sehe, könnte Andratx sein. Auch, wenn ich mich auf nicht einmal 1.000 Höhenmetern befinde, so ist es doch ein alpines Gefühl hier oben zu sein. Ganz alleine bei den widrigen Bedingungen. Ich halte mich nicht allzulange hier auf und steige den Berg hinab, weiterhin den Steinmännchen folgend. Der Abschnitt ist nicht wirklich leichter. Die feuchte Luft macht die Steine teils sehr glitschig, so dass man immer wieder wegrutscht beim Abstieg. Und nicht wenige Passagen absolviere ich mit Händen und Füßen. Teils lasse ich mich einfach hinuntergleiten. Ich kenne den Weg noch vom letzten Jahr und weiß, was da auf mich zukommt. Der Weg hat aber auch irgendwo sein Ende. Der Gedanke macht sich innerlich in mir breit. Kaum 30 Minuten später bin ich auch schon wieder am Fuße des Berges und es ist für mich erstaunlich, was man in so kurzer Zeit zurück legt. Ich habe den schwersten Teil der Route hinter mir. Zumindest unter diesen Bedingungen sollte es der schwerste Teil bleiben. Meine Intuition führt mich weiterhin des Weges. Ich rufe noch mal Sarah an, um meine Heldentat zu berichten, die nicht so gut ankommt. Dennoch ist sie froh darüber, dass ich es geschafft habe und fragt mich, ob ich jetz bald schlafen gehe nach knapp 10 Stunden Wanderung. Es dauert noch gute zwei Stunden, bis ich endlich zur Ruhe komme. Es gibt eine Refugi die sich sa Coma d'en Vidal nennt. Sie hat zwar nicht auf, aber nicht unweit davon ist die nächste Schlafstelle. Die unserer dritten Nacht hier von letztem Jahr. Es wird meine zweite Nacht auf der mallorcinischen Insel. Es wird eine stürmische & unruhige Nacht.

Ich nehme dieses Mal nicht den Biwaksack, sondern schlafe so draussen. Regen ist nicht angesagt. Der Wind ist mäßig bis stark. Er stört mich in der Weise nicht, dass er mich auskühlen könnte, aber durch die Bäume in der Umgebung ist es super laut. Und er hält an bis zum nächsten Morgen und ohne Pause. Ein ruhiger Schlaf ist anders. Dabei habe ich die Stelle extra dafür ausgesucht, weil es das letzte mal windstill war. Ich habe zusätzlich einen großen Fehler begangen. In meinen Wanderschuhen sind noch Schafswolleinlagen für den Winter eingelegt. Diese haben sich in den 12 Stunden Wanderung so voll mit Wasser gesogen, dass ich jetzt, obwohl Merinosocken an, Blasenbildung an den Füßen habe. Links & Rechts. Das wird noch heiter die nächsten Tage. Diesen Tag habe ich knapp 25km und 1.300 Höhenmeter zurück gelegt.

Fazit für den Tag:  Höre auf deine innere Stimme und folge ihr.

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